Mittwoch, 15. August 2007

Hackfleisch, Sex und Borat – ein Ausflug in die Welt des estnischen Werbefilms der 80er

Wir sehen einen Fleischwolf Massen von Gehacktem ausspucken, dazwischen Nahaufnahmen von lebendigen Hühnern, die ob des ihnen bevorstehenden Schicksals etwas beunruhigt zu gucken scheinen und schließlich zwei lächelnde Frauen im Restaurant beim Verzehr der toten Tiere. Im Deutschland des Jahres 2007 könnte so eine Kampagne für den Vegetarismus aussehen, aber im Estland der 1980er Jahre war das ernstgemeinte Werbung für kanahakkliha – zu Deutsch Hühnerhackfleisch.

Über 80 Spots drehte Harry Egipt in den Jahren 1979 - 1992. Darunter war Werbung für so alltägliche Produkte wie Shampoo, aber auch für solche, die dem Durchschnittsbürger des damals noch sowjetischen Estlands unerreichbar scheinen mußten - Apfelsinen beispielsweise. Kampagnen gegen das Rauchen in der Schwangerschaft unterstützte Egipt ebenso wie Aufrufe an die Bauern, ihre Ernte an den Staat zu verkaufen. Und dann war da noch... kanahakkliha.



Nicht nur in Estland sind diese Filme inzwischen Kult. Auch die weltweite Internetgemeinde hat Egipts Werk für sich entdeckt. So wurde für das berühmt - berüchtigte "kanahakkliha" - Video bereits ein Remix-Wettbewerb durchgeführt.

Sex sells?

Wem das gehackte Hühnchen nicht gleich zu Beginn gründlich die Lust an der weiteren Beschäftigung mit Egipt verdorben hat, der kann in seinen Filmen einen ganz anderen Aspekt entdecken - den der teils subtilen, teils auch nicht mehr subtilen Erotik. Mit welcher Freizügigkeit im Estland der 80er Jahre nackte Haut zu sehen war, überrascht teilweise auch den heutigen Betrachter.

Doch in einem Online-Interview gibt sich Egipt auf die Frage eines Lesers von delfi.ee, ob "Sex Sells" immer noch seine Devise sei, zunächst ahnungslos. Er könne sich nicht daran erinnern, diese Devise jemals hervorgehoben zu haben. Wer am Strand spazierengehe und dort Menschen im Badeanzug antreffe, denke doch auch nicht, daß diese irgendetwas durch Sex verkaufen wollten. Und wenn diese Menschen im Badeanzug für die Werbung verewigt würden, könne man eher davon sprechen, daß der Film einige "sensualistische Elemente" benutze.

Auch der estnische Blogger Siim Teller plädiert dafür, einige Szenen aus Egipts Filmen mit einem unschuldigerem Blick zu betrachten: Dadurch, daß der gesellschaftliche Hintergrund vor 15 Jahren ein anderer gewesen sei und der Betrachter noch nicht durch die Pornoindustrie verdorben, habe eine am Eis schleckende junge Frau nicht zwangsläufig mit Oralsex assoziert werden müssen. Unabhängig von derlei Betrachtungen kursieren bei Youtube Montagen zweideutiger Szenen, die zumindest dem heutigen Zuschauer dann doch wieder eindeutig erscheinen.



Harry Egipt und Borat

Viele werden schon Szenen aus Egipts Werbung gesehen haben, ohne sich dessen bewusst zu sein. Denn der große Verwurster sämtlicher Klischees über Osteuropa, Zentralasien und überhaupt allem, was irgendwie im Osten liegt, hat sie für sich entdeckt. Die Rede ist von Sacha Cohen alias Borat. Die skurille Ästhetik estnischer Werbung der 80er Jahre schien wie gemacht, um sie in seinen Film zu integrieren. Und so fanden Ausschnitte daraus Einzug beispielsweise in das Video zur fiktiven Hymne Kasachstans bei Borat.



Schließlich noch die Auflösung zum Artikel vom Sonntag: Der Film, der so gut zum Bierthema zu passen schien, war in Wirklichkeit Werbung für Mineralwasser der Marke „Värska“. Immerhin stammt dieses Wasser aber aus der damals sogenannten "Tartuer Experimental-Brauerei", womit wir auch den Bogen zum Bierthema wieder geschlossen hätten.

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