Dienstag, 12. August 2008

Estland und Georgien

Ein Kommentar von Paavo Kangur auf postimees.ee trägt den Titel "Der georgische Krieg und die olympischen Spiele in Sotschi". Der Vergleich von Tibet und Abchasien und ihren Auswirkungen auf die jeweiligen Olympiaden wird jedoch nur im ersten Absatz kurz gestreift (wobei dieses Thema sicherlich noch eine tiefere Behandlung verdienen würde). Kangurs Meinungsbeitrag ist aus einem anderen Grund interessant: in der beinahe ausnahmslos pro-georgischen Berichterstattung in Estland ist er um eine differenzierte Sichtweise bemüht. Dabei spricht er einen für Estland wunden Punkt an: kleine Völker wie Abchasen und Osseten hätten sich die baltischen Staaten zum Vorbild genommen, um zum Zeitpunkt des Zerfalls eines Imperiums unabhängig zu werden. Die Ambitionen dieser kleinen Völker würden von Rußland zwar ausgenutzt, so Kangur. Gleichzeitig äußert er aber auch Verständnis dafür, daß sich kleine Völker ihre Verbündeten suchen müßten: "Einige finden den Teufel, einige Gott, und am Ende hängt das Urteil nur vom Stand- und Sitzpunkt des Urteilenden ab."

Das Dilemma, das Kangur anspricht, besteht darin, daß sich die estnische öffentliche Meinung zu weiten Teilen mit Georgien solidarisch zeigt. Der gemeinsame Gegner ist die sowjetische Hegemonialmacht Rußland, von dem sich beide Staaten losgesagt haben. Wer allerdings das Selbstbestimmungsrecht der Völker ernst nimmt, muß auch noch kleineren ethnischen Gruppen, als es beispielsweise Esten oder Georgier sind, das Recht auf Autonomie zubilligen. Einen ähnlichen Anspruch könnten früher oder später auch die im Nordosten Estlands lebenden Russen erheben.

Kangur plädiert dafür, als Konsequenz aus dem Krieg in Georgien einen Grenzvertrag mit Rußland zu unterschreiben und auf die umstrittene Präambel zu verzichten, die Rußland einen Grund lieferte, den bereits unterschriebenen Vertrag mit Estland nicht zu ratifizieren. Schließlich spricht sich Kangur noch dafür aus, das sowohl in Estland als auch in Georgien wieder mehr von Völkerfreundschaft gesprochen werden müßte - nicht zuletzt auch um Politikern die Möglichkeit zu nehmen, den Haß zwischen verschiedenen Gruppen auszubeuten.

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